Aus UroForum, Heft 07/2023
Mikhail Borisenkov, Jörn Beier, Abhishek Pandey
Die Rekonstruktion langstreckiger Harnröhrenstrikturen mittels Mundschleimhaut (MSH) gilt als Goldstandard. Wir präsentieren die bislang größte Serie der Harnröhrenplastik mit (MSH) mittels ventral onlay von mehr als 1.600 konsekutiven Patienten mit Langzeitergebnissen.
Die Inzidenz von Harnröhrenstrikturen bei Männern liegt in den USA zwischen 229 und 627/100.000 Männern [1]. Die meisten Patienten sind über 45 Jahre alt [1]. Die Ätiologie der Harnröhrenstriktur kann iatrogen, traumatisch oder infektbedingt sein [1].
Die Diagnostik bei Verdacht auf eine Harnröhrenstriktur umfasst neben der klinisch-urologischen Untersuchung eine Harnstrahlmessung, eine sonographische Restharnbestimmung und eine retrograde sowie gegebenenfalls (z. B. bei Harnröhrenobliteration) auch antegrade röntgenologische Darstellung der Harnröhre mit Kontrastmittel.
Die Therapiewahl wird durch das Patientenalter, die Länge und Lokalisation der Striktur sowie die vorangegangenen Therapien beeinflusst und den Wunsch des Patienten bestimmt. Grundsätzlich stehen sowohl endourologische als auch offen-chirurgische Verfahren zur Verfügung. Bei endourologischen Modalitäten, wie der Urethrotomie mit oder ohne Sicht mit Messer oder Laser und der Bougierung der Harnröhre, liegt die Erfolgsrate nur bei etwa 32 % [1].
Zu den offen-chirurgischen Verfahren gehören die Resektion des strikturierten Harnröhrenanteils und die End-zu-End-Anastomose oder die Rekonstruktion der Harnröhre mittels Gewebetransfer (freie Transplantate oder vaskularisierte Lappen). Die Erfolgsrate liegt in Abhängigkeit von der Methode und der Nachbeobachtungszeit bei ca. 75 % [1]. Dementsprechend ist heute die offene Harnröhrenplastik der Goldstandard in der Behandlung der Harnröhrenstriktur.
Die Mundschleimhaut wird seit etwa 25 Jahren vermehrt zur offen-chirurgischen Rekonstruktion langstreckiger Harnröhrenstrikturen verwendet. Die Implantation kann dorsal, ventral oder auch lateral erfolgen. Die kurzfristigen Erfolgsraten unterscheiden sich nicht. In der Literatur sind allerdings prospektiv erhobenen Studien über Langzeitergebnissen sehr selten zu finden.
Unser Ziel war die Erhebung der Erfolgsrate einer einzigen OP-Technik der MSH-Transplantation nach 5 und 10 Jahren abhängig von der Strikturlänge und Lokalisation.
Material und Methoden
Zwischen 04/1994 und 10/2021 wurden 1.624 Patienten wegen Harnröhrenstriktur mittels Rekonstruktion mit MSH operiert und Follow-up (FU) Daten prospektiv eingetragen. Bis zum Stichtag am 01.01.2012 wurden 632 Patienten einzeitig und ausschließlich mittels ventral onlay operiert, sodass zum Zeitpunkt der Auswertung am 01.01.2022 das minimale FU in dieser Patientengruppe 10 Jahre betrug. Hypospadien wurden ausgeschlossen.
Die Transplantation erfolgte ausschließlich ventral. Die FU-Untersuchungen beinhalteten Uroflowmetrie und Restharnkontrolle sowie standardisierte „Patient self reported“-Fragebögen (▶ Abb. 1), die postalisch zugestellt wurden. Befragt wurde zur Lebensqualität und Morbidität und ob der Eingriff weiterempfohlen oder bei Rezidiv erneut gewählt würde. Die Untersuchungen und die „Patienten self reported“-Daten wurden prospektiv standardisiert 3– monatlich in ersten 2 Jahren nach dem Eingriff und danach halbjährlich für 3 Jahre und später jährlich auf Dauer empfohlen.

Bei einem maximalen Flow von weniger als 20 ml/sec oder einem Restharn über 50 ml oder rezidivierenden Harnwegsinfekten in der Nachbeobachtungszeit empfahlen wir eine Urethroskopie und/oder ein retrogrades Urethrogramm.
Ergebnisse
Von 455/632 Patienten (72 %) liegen uns auswertbare Daten bezüglich Rezidivverhalten vor. Davon betrug das FU bei 282/632 Patienten (44,6 %) mind. 5 Jahre und bei 111/632 Patienten (18 %) 10 Jahre. Es gab keine signifikanten Unterschiede bezüglich des Patientenalters (50,9 vs. 50 J., Range: 1–80), Anzahl der Voroperationen an der Harnröhre (5,2 vs. 5,1x, Range: 1–30), mittlerer Strikturlänge (10,3 vs. 10,1 cm, Range: 1–25 cm) sowie Strikturlokalisation: penil bis penobulbär 36,2 % vs. 38 %, bulbär und bulbomembranös 45,7 % vs. 45 % und panurethral 18,1 % vs. 17 %.
Bei der minimalen FU-Dauer von 5 Jahren (median 9 Jahre) waren 253/282 (89,7 %) und bei der minimalen FU-Dauer von 10 Jahren (median FU 12 Jahre) waren 98/111 (88,3 %) Patienten rezidivfrei.
Etwa 75 % der Patienten würden den Eingriff nach 10 Jahren entsprechend wiederwählen und anderen empfehlen.
Diskussion
Die Rekonstruktion langstreckiger oder peniler Harnröhrenstrikturen macht einen Gewebeersatz erforderlich. Das Transplantat muss ausreichend verfügbar, leicht zu entnehmen, urinverträglich und haarlos sein und zu einem kosmetisch und funktionell guten Ergebnis führen.
Die Mundschleimhaut zeigt eine Resistenz gegenüber Infektionen, ist nahezu immer ausreichend (auch bei panurethralen Strikturen), einfach zu entnehmen und leicht einzupflanzen. Weitere Vorteile sind die Adaptation an Feuchtigkeit und die Ausstattung mit einem optimalen subepithelialen Gefäßplexus, was sie zu einem nahezu idealen Gewebeersatzmaterial in der rekonstruktiven Harnröhrenchirurgie macht.

Aus eigener Erfahrung mit zwischenzeitlich mehr als ca. 1.700 Harnröhrenplastiken mittels Mundschleimhaut wissen wir, dass Rekonstruktion bis 25 cm problemlos möglich ist (▶ Abb. 2). Der Defekt im Wangenbereich wird an unserer Klinik fortlaufend und im Lippenbereich adaptierend mittels Einzelknopfnähten aus resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen. Eine Evaluation hinsichtlich der Beschwerden im Bereich der Entnahmestelle zeigte, dass etwa 5 % unserer Patienten Probleme angeben. 92 % der Patienten mit Beschwerden gaben allerdings an, dass sie die Operation jederzeit noch einmal wählen würden.
Was meinen wir, wenn wir über die Langzeitergebnisse in der Medizin reden? Es ist bekannt, dass die Re-Operationsrate nach der TUR-Prostata ca. 2 % pro Jahr betrifft. Dies bedeutet, dass in den ersten 10 Jahren jeder 5. Patient eine erneute Operation benötigt. Jeder 3. Patient nach Steinentfernung braucht bereits nach 3 Jahren erneut eine chirurgische Therapie. Was ist dann nach 10 Jahren? Die nicht-muskelinvasiven Blasenkarzinome erreichen eine Re-Operationsrate von 50 % bereits nach 5 Jahren. Und ein PSA-Rezidiv tritt 10 Jahre nach der radikalen Prostatektomie grob geschätzt in 35 % der Fälle auf. Welche Statistik gibt es für die Rezidive nach Harnröhrenrekonstruktion mit MSH?
Barbagli et al. (2011) hatten bei 1.200 Patienten 14 verschiedene OP-Methoden verwendet, unter anderem die Sicht-Urethrotomie bei 348 Pat. Das mediane FU lag bei 8,6 Jahren. Die End-zu-End-Anastomose zeigte das längste FU von 15 Jahren bei überzeugender Erfolgsrate von 72 %. Die OP-Methode kann aber bei Strikturen länger als 2 cm nicht angewendet werden.
Dorsal inlay und ventral onlay schneiden auch gut ab mit Erfolgsraten von 78,4 % und 81,7 %. Aber die Dauer des FU ist eindeutig kürzer, und zwar 4,6 Jahre und 7,6 Jahre. Andere Methoden wurden bei geringer Patientenzahl durchgeführt.
Die von uns beobachtete Rezidivrate von 88 % deckt sich mit Daten aus der Literatur, die im Mittel eine Erfolgsrate von 86 % (75–90 %) beschreiben.
Wir wissen, dass Harnröhrenstrikturen sehr unterschiedlich sein können. Die Patienten mit Hypospadie werden aus diesem Grund meist aus den Auswertungen ausgeschlossen. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Lichen sclerosus als progressive Erkrankung im Langzeitverlauf eine ungünstige Prognose bedeutet. Oft werden die penilen Strikturen getrennt von bulbären analysiert und anders behandelt. Unsere Ergebnisse mit eindeutig vergleichbaren Erfolgsraten bei gleicher OP-Methode sind bereits im Jahr 2021 hier präsentiert worden.
Die Verwendung von Mundschleimhaut hat sich wegen der einfacheren Technik, der kürzeren Operationszeit sowie der geringeren Komplikationsrate im Vergleich zum Einsatz vaskularisierter Lappen und der gemeshten extragenitalen Haut weitgehend als Therapie der ersten Wahl durchgesetzt. Die beiden anderen Therapieoptionen sollten aber im Portfolio eines Harnröhrenchirurgen verfügbar sein.
Die vaskularisierten Hautlappen (z. B. aus Skrotalhaut) finden ihre Anwendung bei den komplizierten Salvage-Fällen (zum Beispiel bei Z. n. vorausgegangener Hypospadiekorrektur) zur Deckung der Neourethra und gewährleisten die geforderte eigene Durchblutung. Meshgraft könnte eine Therapiemöglichkeit im Fall eines erneutes Strikturrezidivs darstellen.
Schlussfolgerung
Diese bislang größte Serie mit prospektiv und standardisiert erhobenen FU-Daten unterstreicht,, dass die Harnröhrenplastik mit Mundschleimhaut mittels ventral onlay die Therapie der Wahl bei rezidivierenden Harnröhrenstrikturen beliebiger Lokalisation ist und auch langfristig exzellente funktionelle Ergebnisse und Patientenzufriedenheit liefert. Da Rezidive auch nach mehr als zehn Jahren möglich sind, ist eine wahrscheinlich lebenslange Betreuung notwendig.

Korrespondenzadresse:
Mikhail Borisenkov
Oberarzt der Klinik für Urologie,Kinderurologie, Urologische Onkologie und Palliativmedizin
Sana Klinikum Hof
Eppenreuther Str. 9
95032 Hof
mikhail.borisenkov@sana.de