Aus Uroforum, Heft 04/2023

Caelán Max Haney, Victoria L. S. Wieland , Karl-Friedrich Kowalewski

Die radikale Zystektomie kann offenen oder laparoskopisch oder Roboter-assistiert laparoskopisch durchgeführt werden. Alle drei operativen Ansätze werden in der Praxis genutzt. Wie unterscheiden sie sich? Ist ein Ansatz überlegen?

Hintergrund

Derzeit ist die radikale Zystektomie mit neoadjuvanter, platinbasierter Chemotherapie der standard of care beim muskelinvasiven Blasenkarzinom. Während in Deutschland hierbei noch die offene Operationstechnik überwiegt, dominieren in Nordamerika und in Teilen Europas inzwischen minimalinvasive (konventionell laparoskopisch und Roboter-assistiert laparoskopisch) Zugänge. Die Hoffnung ist, die Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie (MIC) v. a. im perioperativen Verlauf, wie aus anderen Entitäten bspw. der radikalen Prostatektomie und in der Nierentumorchirurgie bekannt, auf die radikale Zystektomie übertragen zu können. Ungleich der anderen genannten Entitäten wurde diese Entwicklung von mehreren Phase-II und Phase-III randomisiert kontrollierten Studien (RCT) begleitet.

In einer aktuellen systematischen Übersichtsarbeit mit Netzwerk- Meta-Analyse wurden die drei derzeit dominierenden Techniken, also die offene radikale Zystektomie (ORC), die konventionell laparoskopische radikale Zystektomie (LRC) und die Roboter-assistierte radikale Zystektomie (RARC) miteinander verglichen [1]. Bei den minimalinvasiven Techniken wird hierbei zusätzlich unterschieden, ob die Harnableitung minimalinvasiv (intrakorporal, iRARC) oder offen-chirurgisch (extrakorporal, eRARC) angelegt wird. Durch die Methodik einer Netzwerk-Meta- Analyse können durch statistische Modelle auch mehr als zwei Interventionen sowohl direkt als auch indirekt miteinander verglichen werden. So kann beispielsweise auch ein Vergleich A versus C erfolgen, wenn nur RCTs existieren, die A und B, beziehungsweise B und C miteinander vergleichen. Der primäre Endpunkt der Studie war das Gesamtüberleben. Es wurden nur Studien mit dem höchsten Evidenzgrad, also RCTs, eingeschlossen.

Ergebnisse

Insgesamt konnten zehn RCTs eingeschlossen werden. Acht Studien randomisierten Patienten zwischen RARC und ORC, eine Studie randomisierte zwischen LRC und ORC und eine dreiarmige Studie randomisierte Patienten zwischen RARC, LRC und ORC.

Es zeigte sich eine deutliche Limitierung in der Evidenz bezüglich des laparoskopischen Arms der Studie, da nur 54 Patienten dorthin randomisiert wurden. Deshalb wurde, wie im Studienprotokoll definiert, für den primären Endpunkt nur ein binärer Vergleich zwischen RARC und ORC erstellt. Hierbei zeigt sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Techniken (Hazard Ratio (HR); 95%-Konfidenzintervall (KI): 0,98 [0,73–1,30]). Insgesamt wurden hierbei Daten von 5 Studien mit 893 Patienten eingeschlossen. Auch beim rezidivfreien Überleben, einem wichtigen sekundären Endpunkt, zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede (▶ Abb. 1).

Abb. 1: Forest-Plot zum Vergleich von A) Gesamtüberleben und B) Rezidivfreiem Überleben zwischen offener und roboter-assistierter Zystektomie.
Abb. 1: Forest-Plot zum Vergleich von A) Gesamtüberleben und B) Rezidivfreiem Überleben zwischen offener und roboter-assistierter Zystektomie.


Da es sich bei den sekundären Endpunkten um explorative Analysen handelt, wurden hier trotz limitierter Evidenz bezüglich der Laparoskopie die dreiarmigen Vergleiche erstellt. Insgesamt waren keine Unterschiede bezüglich Komplikationen (sowohl schwerwiegend als auch Gesamtkomplikationen) zwischen RARC und ORC sichtbar. Jedoch zeigte sich eine signifikant geringere Transfusionsrate bei jedoch längerer Operationszeit für die RARC (▶ Abb. 2). Es zeigten sich ansonsten keine Unterschiede in den R1-Raten, der Lebensqualität oder im Krankenhausaufenthalt.

Abb. 2: Netzwerk-Meta-Analyse mit jeweils indirektem Vergleich zur offenen Zystektomie. *Clavien-Dindo Klassifikation ≥ I,
**Clavien-Dindo Klassifikation III–V.
Abb. 2: Netzwerk-Meta-Analyse mit jeweils indirektem Vergleich zur offenen Zystektomie. *Clavien-Dindo Klassifikation ≥ I,
**Clavien-Dindo Klassifikation III–V.

Welchen Unterschied macht die Randomisierung?

Wie in vielen chirurgischen Fachrichtungen gibt es auch in der operativen Urologie noch immer einen Mangel an hochqualitativer randomisierter Evidenz. Dies kann nun für die verschiedenen Zugangswege der radikalen Zystektomie nicht mehr behauptet werden. So existieren inzwischen 10 RCTs, insgesamt wurden bereits mehr als 1.100 Patienten randomisiert. Die Randomisierung von Patienten erhöht hierbei die Sicherheit der Evidenz (engl. certainty of evidence), weil mehrere Biases, wie z. B. der Selektionsbias, wegfallen.

Mithilfe des GRADE (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluations) Modells kann die certainty of evidence bewertet werden [2]. Hierbei werden die Ergebnisse einer Meta-Analyse anhand verschiedener Kriterien (Randomisierung, risk of bias, Objektivität des Endpunktes, Homogenität des Ergebnisses, Größe des Konfidenzintervalls) bewertet. Resultierend hieraus kann geschlossen werden, wie stark dem Ergebnis der Meta-Analyse vertraut werden kann. Diesen Prozess durchliefen auch die Ergebnisse dieser Übersichtsarbeit mit dem Resultat, dass es eine moderate certainty of evidence für die statistischen Ergebnisse des Gesamtüberlebens und des rezidivfreien Überlebens gibt.

Bezüglich der Unterschiede in den Transfusionraten und der Operationsdauer wird die certainty of evidence sogar als hoch bewertet, was für chirurgische RCTs bemerkenswert ist. Die Gesamtergebnisse der Bewertung (Summary of Findings) sind der ▶ Tabelle 1 zu entnehmen.

Tab. 1: Patient oder Population: Patienten mit Harnblasenkarzinom, Intervention: roboterassistierte radikale Zystektomie (RARC), Vergleich: offene radikale Zystektomie (ORC); Das Risiko in der Interventionsgruppe (und das 95%-Konfidenzintervall) basiert auf dem vermuteten Risiko in der Vergleichsgruppe und der relativen Wirkung der Intervention (und dem 95%-KI). KI = Konfidenzintervall; HR = Hazard Ratio; MD =mean difference; OR = odds ratio; SMD =standardised mean difference; a = objektiver Parameter für die Erfassung der Ergebnisse, b = breite Konfidenzintervalle, die weder eine Wirkung noch eine klinisch bedeutsame Verringerung oder Verbesserung vermuten lassen, c = Verzerrung durch fehlende Verblindung, d = Verzerrung bei der Messung der Ergebnisse. GRADE Evidenzgrade der Arbeitsgruppe: Hoch: Wir sind sehr zuversichtlich, dass die tatsächliche Wirkung nahe an der geschätzten Wirkung liegt. Moderat: Der tatsächliche Effekt liegt wahrscheinlich nahe an der Schätzung des Effekts, aber es besteht die Möglichkeit, dass er erheblich davon abweicht. Unser Vertrauen in die Effektschätzung ist begrenzt: Der tatsächliche Effekt kann sich erheblich von der Effektschätzung unterscheiden.

BORARC, iROC und RAZOR – Vorbildliches Studiendesign

Schlussendlich sind drei eingeschlossene Studien aufgrund des Designs einzeln zu erwähnen und besonders hervorzuheben. Die mitunter bekannteste Studie in diesem Bereich ist die 2018 im Lancet publizierte RAZO- Studie von Parekh et al. [3]. Mit dem primären Endpunkt des progressionsfreien Überlebens zeigte die Studie bereits vor einigen Jahren die Nichtinferiorität der eRARC gegenüber der ORC in einem wichtigen onkologischen Endpunkt. Jedoch muss hierbei erwähnt werden, dass eine relativ weite Nichtinferioritässpanne von 15 % gewählt wurde. Die Studie zeigt auch nach 36 Monaten keine statistisch signifikanten Unterschiede, sowohl im progressionsfreien als auch im Gesamtüberleben.

Eine ähnliche Rekrutierungszahl umfasste die von Catto et al. 2022 in JAMA publizierte iROC-Studie, welche auch RARC und ORC verglich [4]. Im Gegensatz zur RAZOR-Studie erfolgte jedoch auch die Anlage der Harnableitung hierbei intrakorporal, die Studie verglich also iRARC und ORC. Der primäre Endpunkt der Studie war hierbei die Anzahl der Tage, die die Patienten innerhalb der ersten 90 postoperativen Tage nicht im Krankenhaus verbrachten. Hierbei zeigte das Studienteam, dass iRARC-Patienten im Median zwei Tage weniger im Krankenhaus verbrachten. Während der primäre Endpunkt zwar signifikant, jedoch nicht klinisch relevant war, zeigte sich auch im zweijährigen Follow-Up der Patienten kein statistisch signifikanter Unterschied in den onkologischen Endpunkten.

Aus methodischer Sicht zeichnet sich die von Maibom et al. publizierte BORARC-Studie aus [5]. Hierbei wurden die Patienten und das komplette Stationsteam (Pflege als auch Ärzteschaft) bezüglich der Operationstechnik (RARC und ORC) verblindet, indem die für beide
Operationen typischen Verbände geklebt wurden. Beim Verbandswechsel, der von stationsexternem Pflegepersonal durchgeführt wurde, wurde den Patienten mittels Kissen die Sicht auf die Operationswunden verdeckt. Dieses Design soll verhindern, dass Patienten im kurzfristigen Verlauf durch das Wissen, welches Operationsverfahren sie durchlaufen haben, beeinflusst werden. Ob diese aufwendigen Methoden auch in größeren Studien angewendet werden können, lässt sich noch nicht sagen.

Implikationen für die Zukunft

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die RARC und die ORC vergleichbare onkologische Langzeitergebnisse haben. Ein nun mit hoher Evidenz belegter Vorteil der RARC ist der geringere Transfusionsbedarf, wohingegen die ORC geringere Operationszeiten hat. Damit bleiben weiter ortspezifische Erfahrungen von elementarer Bedeutung, während Diskussionen hinsichtlich der Überlegenheit eines operativen Ansatzes nicht länger zielführend scheinen.

PD Dr. med. Karl-Friedrich Kowalewski, M.Sc

Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. med. Karl-Friedrich
Kowalewski, M.Sc.
Klinik für Urologie und Urochirurgie
Universitätsmedizin Mannheim,
Universität Heidelberg
Theodor-Kutzer-Ufer 1–3,
68167 Mannheim, Deutschland
Tel. :+49 6213831588
karl-friedrich.kowalewski@umm.de

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