Digitalisierung

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird kommen, weil Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach es so will. Seit Freitag ist das klar. Nachdem der Konsensweg offenbar nicht zufriedengestellt hat, legt der Minister nun härtere Bandagen an. Zwei konkrete Gesetzesvorhaben sollen diese Digital-Offensive flankieren: das Digitalgesetz, das den Behandlungsalltag mit digitalen Lösungen und Fristen verbessert. Und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, mit dem Gesundheitsdaten für die Forschung erschlossen werden. Bis Ende 2025 sollen 80 % der Nutzer einer Elektronischen Patientenakte, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen. Und bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten durch das neue Forschungsdatenzentrum Gesundheit realisiert werden. Das sind konkrete Ziele einer Digitalisierungsstrategie für Gesundheit und Pflege, die Lauterbach in Berlin vorgelegt hat.

Digitalisierung
Karl Lauterbach ist die Digitalverschleppung leid und legt die Daumenschrauben an. Foto: lauterbach.de

Deutschland hat die Digitalisierung verpennt

„Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück“, so klagte Lauterbach. „Das können wir nicht länger verantworten. Deshalb machen wir einen Neustart – erschließen die elektronische Patientenakte für alle, machen das elektronische Rezept alltagstauglich und erleichtern die Forschung auf Grundlage von Gesundheitsdaten. Moderne Medizin basiert auf Digitalisierung und Daten. Ihre Vorteile zu nutzen, macht Behandlung besser“, lässt Lauterbach einen forschen Ton hören.

Neben der Gesetzgebung will Karl Lauterbach auch zwei Hemmnisse aus dem Weg räumen: Zum einen wird die gematik aufgelöst und in eine bundeseigene Digitalagentur ohne Mitsprache der Selbstverwaltung verwandelt. Das KV-System und die Lobbyverbände werden in Zukunft keinen Einfluss mehr auf digitale Entwicklungen haben, wenn Lauterbach sich durchsetzt.

Hemmschuh Nummer zwei waren bislang der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit Ulrich Kelber und seine Behörde. In der Behörde hält man zum Beispiel gar nichts vom Opt-out-Verfahrungen bei der elektronischen Patientenakte. Jetzt will Lauterbach Kelber und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entmachten und Ihnen ihre „klassischen Vetorechte“ entziehen. Das bisherige Einvernehmen der beiden Behörden soll dann keine Voraussetzung mehr für Neuregelungen sein. Stattdessen soll künftig ein interdisziplinärer Ausschuss beraten. Die Digitalisierungskritiker werden kaltgestellt.

Das Digitalgesetz

Bis Ende 2024 soll die elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherte eingerichtet werden. Dies geschieht für alle im Opt-Out-Verfahren, sodass Gegner aktiv widersprechen müssen. Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung und die Nutzung stark vereinfacht werden (E-Rezept kann dann sowohl mit Gesundheitskarte wie mit ePA-App eingelöst werden). Ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln sollen vermieden werden, indem – in enger Verknüpfung mit dem E-Rezept – die ePA für jeden Versicherten mit einer vollständigen, weitestgehend automatisiert erstellten, digitalen Medikationsübersicht befüllt wird.

Die Gesellschaft für Telematik (gematik GmbH) wird zu einer Digitalagentur in 100% Trägerschaft des Bundes weiterentwickelt und in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt. Lauterbach schmeißt die Selbstverwaltung aus der gematik heraus. Assistierte Telemedizin soll künftig in Apotheken oder Gesundheitskiosken angeboten werden können, insbesondere auch in unterversorgten Regionen. Behandlungs-Programme (DMP) sollen um stärker digitalisierte Programme ergänzt werden.

Ein interdisziplinärer Ausschuss, der u.a. mit Vertretern von BfDI, BSI, Medizin und Ethik besetzt sein wird, soll künftig die Digitalagentur bei allen Entscheidungen mit Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.

Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG)

Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle wird aufgebaut, die den Zugang zu Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen (z.B. Krebsregister, Krankenkassendaten) ermöglicht. Die Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen wird über Forschungspseudonyme ermöglicht. Die Daten bleiben dezentral gespeichert. Die federführende Datenschutzaufsicht für bundesländerübergreifende Forschungsvorhaben wird auf alle Gesundheitsdaten erweitert. D.h.: Die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen erfolgt dann nur noch durch eine/n Landesdatenschutzbeauftragte/n.

Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM wird weiterentwickelt: Künftig soll auch die forschende Industrie dort Anträge auf Datenzugang stellen können. Entscheidend für die Anfragen ist der Nutzungszweck, nicht der Absender. Die Datenfreigabe aus der elektronischen Patientenakte (ePA) wird vereinfacht, kann nutzerfreundlich in der ePA-App gesteuert werden (Opt-Out). Pseudonymisierte ePA-Daten sollen künftig zu Forschungszwecken automatisch über das FDZ abrufbar sein.