Heute läuft das Ultimatum der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur Krise der Finanzen in Kassenarztpraxen ab. Die Situation ist glasklar: Eine Kassenarztpraxis lässt sich 2023 nicht mehr wirtschaftlich betreiben. Prominente Urologen wie Dr. Holger Uhthoff schätzen die Lage äußerst kritisch ein.

Als Praxisinhaber stellt Dr. Philipp Lossin, Mitglied der Vertreterversammlung der KV Nordrhein und Facharzt für Urologie in Bonn, fest, dass die Inflation bereits seit Jahren deutlich höher liegt als die Honorarsteigerungen in der Kassenmedizin. „Wir bringen Geld zur Arbeit mit. Das Honorar für eine Grunduntersuchung meines Hundes beim Tierarzt ist höher als bei der Untersuchung eines Mannes in der urologischen Praxis.“ Höhere Hygieneaufwände sind sinnvoll, aber dann müsse auch der Bezugspunkt der Berechnung an die höheren Kosten angepasst werden. „50 bis 100 Euro müssen wir heute bei einer Zystoskopie des Mannes im Vergleich zu vor einigen Jahren mitbringen“, unterstreicht Dr. Lossin.
Eine urologische Praxis lasse sich mit GKV-Einnahmen nicht mehr wirtschaftlich betreiben. „Das geht nur mit der Quersubventionierung aus der Privatmedizin.“ Als Praxisinhaber schließt Dr. Lossin Praxisschließungen ausdrücklich nicht aus, denn das Maß sei jetzt voll. Als Mitglied im Berufsverband und der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein erlebt Dr. Lossin viele Kolleginnen und Kollegen, die die Praxis schließen möchten, weil sie sich in dieser Zeit um Bürokratie, digitale Anpassungen und Schulungen kümmern können. „Da bleibt eben keine Zeit mehr für die Kassenpatienten.“
Nur Valium der KBV fürs aufgebrachte Ärztevolk?
Dr. Holger Uhthoff ist niedergelassener Urologe im MVZ für Urologie und Uroonkologie in Speyer und ehemaliger Vizepräsident des Berufsverbands der Deutschen Urologie (BvDU). Vor kurzem warf er einen Blick in seine Einnahmen-Überschuss-Rechnung aus dem Jahr 2021. Derzeit bietet der GKV-Spitzenverband eine Erhöhung des Orientierungspunktwerts um 2,1 % an; die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert 10,2 %. Dann berechnete Dr. Uhthoff eine reale fünfprozentige Gehaltssteigerung bei den Medizinischen Fachangestellten für 2023 und Anfang 2024. „Das Erhöhungsangebot von 2,1 % des GKV-Spitzenverbands beim Orientierungspunktwert ergibt im MVZ eine Honorarsteigerung von 12.600 Euro. Da die Personalkostensteigerung viel höher liegt, ergibt sich ein Einnahmen-Defizit von etwa 2,62 %. Inflation und höhere Kosten für Energie etc. sind noch gar nicht eingerechnet“, so der Urologe.
Die KBV-Forderung von 10,2 % ergibt im MVZ Speyer eine Honorarsteigerung von rund 30.000 Euro. Abzüglich der MFA-Personalkosten ergibt das für das MVZ eine Steigerung der Einnahmen um 2,5 %. „Wenn ich mein Arzt-Einkommen an die 10–15 % Steigerung im öffentlichen Dienst anpassen möchte, müsste der OPW um 25–30 % wachsen“, rechnet Uhthoff vor. Die „sinnfreie Höhe der KBV-Forderung von 10,2 %“ bei gleichzeitig 300 Euro mehr pro MFA bedeutet im Fall Speyer einen Anstieg der Kasseneinnahmen um 4,68 %. Dann kommen Inflation, gestiegene Energiekosten u. Ä. hinzu. Zur KBV-Krisensitzung und der Forderung der Selbstverwaltung für 2024 hat Dr. Uhthoff eine klare Meinung: „Da wird Valium unters Ärztevolk geschmissen, um uns ruhig zu stellen. Der KBV-Vorstand steigt aus dem Elfenbeinturm herab zum Ärzte-Volk im Hof der Burg. Mit Protest hat das wenig zu tun, sondern das ist ein reines Schaulaufen.“
Dr. Uhthoff fordert Protest-Kampagne des BvDU
Holger Uhthoff hält viel von mehrtägigen Praxisschließungen. „Ich würde dann die Praxis selektiv für Privatpatienten öffnen. Mein Vorschlag ist eine flächendeckende, einwöchige Schließung der Praxen mit Verweis der Patienten an die Zentrale des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes und die Krankenhäuser.“ Vom Berufsverband fordert Uhthoff eine sofortige Kampagne der Praxisschließung, um das Feuer unter dem Kessel anzufachen. „Mit lauteren Worten werden wir nichts mehr verbessern. Der Altruismus muss ein Ende haben.“
Eskalation in den Praxen ist unübersehbar
Dr. Thomas Speck, niedergelassener Urologe in Berlin und DGU-Vorstandsmitglied im Ressort Wissenschaft und Praxis, betrachtet die Situation ebenfalls mit Sorge. „Die Lage spitzt sich zu in den Praxen. Eine Eskalation ist unübersehbar, denn die Achtung gegenüber der Freiberuflichkeit und den in der ambulanten Medizin Tätigen fehlt völlig – in der Politik ebenso wie in den Krankenkassen. Wo bleiben die Heizkostenzuschüsse in der Niederlassung? Das ist schlicht vergessen worden und interessiert auch niemanden. Wer gleicht uns die drastisch höheren Hygienekosten in den Praxen aus? Bislang niemand! Die Zeit ist reif für lautere Töne und eine härtere Gangart“, stellt Dr. Speck fest.
Die 10,2 %-Forderung der KBV reiche nicht aus, um die Einbußen der vergangenen Jahre auszugleichen. Der Orientierungspunktwert müsse um 20–30 % ansteigen, um die Rentabilität der Praxen zu sichern. Die Kassenpraxis lässt sich aus Sicht des Berliner Urologen nicht mehr kostendeckend betreiben. „Ohne die Einnahmen aus der Privatmedizin“, so Dr. Speck, „wären 40–50 % der Praxen insolvent.“
Dazu kommt ein realer Einkommensverlust von über 50 % im PKV Bereich durch fehlende Anpassung der Honorare an die jährliche Inflation seit min. 1996. Wir wollen und vor allem wir können bald so nicht mehr weitermachen. Aber vielleicht ist es das stille Ziel der Politik, die ambulante, fachärztliche Versorgung, ein Alleinstellungsmerkmal deutscher Gesundheitsversorgung, leise und effektiv zu beenden.
Herr Kollege Uhthoff hat völlig Recht, ich teile absolut seinen Vorschlag zum weiteren Vorgehen. Es muss von einer Informationskampagne begleitet werden, damit die erwartbare diskreditierende Reaktion seitens der Politik und der KK („Bevorzugung von Privatpatienten“) entkräftet werden kann.
Manfred Johannsen
Ich kann da nur zustimmen, ich habe heute einen Aushang an die Praxistür gemacht:
„Die Politik zwingt uns zum Sparen – davon sind auch Sie betroffen, lieber Patient.
Ab dem 01.10.2023 kann zu Lasten der GKV nur noch ein Grundversorgung erfolgen.
Wir versuchen, die begrenzen Mittel aber solidarisch einzusetzen.
Sollten Sie eine darüber hinausgehende Behandlung wünschen, sind wir dazu gerne bereit, diese erfordert aber eine Eigenbeteiligung.
Dr. Imanuel Denmler